Was meine ich mit „laut sein“ beim Sex?
Wenn wir unseren Mund öffnen, den Atem fließen lassen und die Töne aus uns herauslassen, die mit unserer Empfindung im Einklang sind, dann sind wir laut. Ich meine auf keinen Fall, dass wir künstlich etwas vorspielen, lauter sind, Erregung vortäuschen oder gar einen Orgasmus vorspielen. Laut sein beim Sex heißt für mich, sich wirklich zu öffnen und sich fallen zu lassen und hinzugeben.
Natürlich stellt sich erst einmal die Frage: Warum unterdrückt wir es überhaupt?
Warum erlauben wir uns nicht, zu stöhnen, zu hecheln, zu atmen, zu schreien?
Der Grund ist einfach: Weil es in gewisser Weise schamlos ist. Jemand, der beim Sex laut ist, ist ungezügelt, schamlos, hemmungslos und das wollen wir meist im Zusammenleben mit unseren Mitmenschen oder Partnern nicht sein. Denn um Himmels Willen, was sollen denn die Nachbarn denken, wenn sie mitbekommen, dass du Sex hast? Dass ICH Sex habe, dass WIR Sex haben? Wir selbst denken nur an die Scham, lassen uns ausbremsen und nehmen uns damit die Lust und das Empfinden.
Seit Generationen und hunderten von Jahren wird ein binäres Frauenbild vermittelt und weitergegeben: Frauen haben zwei Optionen: Die gute Frau zu sein oder die gefallene.
Die „gute“ Frau
Gute Frauen sind leise. Sie benehmen sind, sie nehmen sich zurück. Sie passen sich an und sie haben keine besonderen Wünsche oder Bedürfnisse. Sie haben kein sexuelles Verlangen und schon gar keine ungezügelte Lust auf Sex. Gute Frauen erfüllen ihre ehelichen „Aufgaben“. Sie haben Sex mit ihrem Partner, weil es dazugehört, auch wenn die Frau keinen Spaß daran hat, um nicht zu sagen, die „gute“ Frau darf doch gar keinen Spaß daran haben. Dieses Bild ist geprägt von patriarchischer Unterdrückung. Und die andere Seite, wie sieht die aus?
Die gefallene Frau
Befallen und beherrscht vom Bösen. Was ist, wenn die Frau Lust auf Sex hat? Was, wenn die Frau sich fallen lässt und ihrer Lust hingibt und sie gar genießt? Und ja, dazu gehört es auch, laut zu sein beim Sex, dazu gehört es laut zu Stöhnen und sich einen feuchten Kehricht darum zu kümmern, ob man leiser sein sollte. Was und wer ist die Frau, die öfters Sex hat und vielleicht auch mit mehreren Partnern? Wer ist diese Frau? Das ist die böse, die schlechte Frau, oder sogar die „Schlampe“.
Dieses Bild steckt in uns allen. Und dieses Bild haben auch Männer in gewisser Weise verinnerlicht. Interessanterweise ist es so, dass von außen betrachtet, viele Männer lieber eine „gute“ Frau bevorzugen und im Bett dann doch gerne die „gefallene“ Frau wollen – weil es eben doch mehr Spaß macht.
Genau dieses binäre Bild prägt uns und steht uns im Weg. Es lässt uns als Frauen uns und unsere Bedürfnisse und damit auch unsere Lust und unsere Erregung hinten anstellen. Doch heute geht es darum laut zu sein und warum es gut ist, warum du es sein solltest – und ich auch.
- Laut zu sein beim Sex heißt, dich wirklich zu befreien
Ich will dir von einem Beispiel aus meinem eigenen Leben erzählen, wodurch mir erst klar geworden ist, wie sehr dieses Bild und dieses Zurückhalten in uns verankert ist. Ich habe zwei Kinder natürlich auf die Welt gebracht und die erste Geburt war sehr lang und mühsam, um nicht zu sagen traumatisch. Mit dieser Erfahrung habe ich mich auf die zweite Geburt mit Hypnobirthing vorbereitet, vieles geheilt und gelernt – laut sein zu dürfen.
Die zweite Geburt war das völlige Gegenteil der erste. Wahnsinnig schnell, erfüllend und kraftvoll. Erst im Nachhinein als ich darüber nachgedacht habe, habe ich meinen Mann gefragt, ob ich bei der zweiten Geburt lauter war, als bei der ersten. Und er lächelte und nickte. „Deutlich, ja.“
Das Bild, das gelernte war so aktiv in mir, dass ich es mir unterbewusst selbst bei einer Geburt nicht erlaubt habe, so zu gehecheln, zu stöhnen, laut zu sein, wie es mit meinem Körper im Einklang gewesen wäre?! Nicht auszudenken, wie oft mir das wahrscheinlich beim Sex passiert ist, ohne, dass ich es gemerkt habe.
2. Laut sein beim Sex heißt, sich fallen zu lassen
Wenn der Mund locker ist, wenn wir uns nicht darauf konzentrieren, wie wir uns wohl gerade anhören oder welche Töne wir von uns geben sind wir mehr bei uns und können mehr genießen. Wenn du dich nicht darauf konzentrierst, ob du dich irgendwie regulieren musst, dann hast du mehr Kapazitäten das zu spüren, worauf es gerade wirklich ankommt. Es ist pures Loslassen, sich fallen lassen und der Lust hingeben.
3. Mehr Sauerstoff in den Körper lassen.
Wir entspannen mehr. Es hilft dabei, Stress loszulassen und überhaupt in dieses Glücksgefühl kommen zu können. Dann können wir Höhepunkte größer machen, können sie hinauszögern. Wir können sie zu uns holen und viel intensiver in den Körper spüren.
4. Die Kehle als Spiegelbild der Vulva
Wenn du dir Zeichnungen oder Bilder anschaust, von der Kehle in der Draufsicht und das Bild einer Vulva ist die Ähnlichkeit wirklich beachtlich. Sie sind fast identisch. Dafür braucht man kein medizinischer Experte zu sein, um zu verstehen, dass es da einen Zusammenhang und eine Verbindung geben muss.
Da kommt auch nochmal mein Geburtserlebnis mit ins Spiel. Ich weiß, dass mir in der Vorbereitung für die zweite Geburt die Hebamme geraten hat, dass es wichtig sei, den Mund locker zu lassen. So wie wir den Mund anspannen, spannen wir auch unseren Muttermund an. Das heißt, je lockerer der Mund, desto lockerer ist auch der Muttermund und desto leichter ist die Geburt. Der Mund ist zwar nicht direkt die Kehle, aber das ist ja alles nicht so weit voneinander entfernt.
Der Mensch ist ein System. Das heißt also, wenn wir oben dicht machen und uns verschließen, dann verschließen wir uns auch untenrum. Damit verschließen wir uns vor schönen, tollen Reizen und Gefühlen. Wir machen einfach dicht. Allein dieser eine Grund reicht schon völlig aus, um sich zu öffnen und mehr Qualität zu erleben.
5. Es turnt den anderen einfach an
Ein wirklich echtes Stöhnen, ein Hecheln oder ein Jauchzen, oder was auch immer dabei herauskommt. Das ist intim. Das heißt, es ist ein Zeichen, dass wir uns unserem Partner, unserer Partnerin öffnen, dass wir uns fallen lassen.
Es bedeutet, dass wir erregt sind, dass es etwas ist, was uns gerade gefällt. Wer laut ist, den hat die Lust gepackt, der ist erregt und dass wir damit unseren Partner oder unsere Partnerin auch dazu einladen, gemeinsam mit uns auf dieser Welle der Lust zu reiten.
Wenn wir Sex zu zweit haben, dann ist es nicht so, dass nur einer sich zurückhält oder an Scham stößt. Es werden dann plötzlich zwei daraus. Wenn wir uns öffnen, wenn wir es uns erlauben, laut zu sein, ist es ein intimes Erlebnis, eine Einladung für den Partner.
Ich wünsche es mir für dich, für deine Lust, dass du es dir erlaubst. Und es in vollsten Zügen genießt.